37
Bundesgesetzblatt
1 949 Ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 1949 Nr. 9
Tag In h a 1 t : Seite
31. 12. 1949 Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit 37
Gesetz
über die Gewährung von Straffreiheit.
Vom 31. Dezember 1949.
Der Bundestag hat das folgende Gesetz be- (3) Ungeachtet der Einstellung kann in einem
schlossen: selbständigen Verfahren über Einziehung, Abführung
§ 1 des Mehrerlöses,. Verfallserklärung, Unbrauchbar-
machung und die Befugnis zur Beseitigung eines
Für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die gesetzwidrigen Zustandes entschieden werden. Die
vor dem 15. September 1949 begangen sind, wird §§ 430 bis 432 der Strafprozeßordnung sind an-
nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Straffrei- zuwenden.
heit gewährt: § 4
§ 2
(1) Ist wegen mehrerer selbständiger Handlungen
(1) Rechtskräftige Freiheitsstrafen bis zu sechs auf eine Gesamtstrafe erkannt oder, eine solche
Monaten und daneben ausgesprochene Geldstrafen nachträglich zu bilden, so tritt Straferlaß ein, wenn
bis zu 5 000 Deutsche Mark sowie rechtskräftige die Gesamtstrafe die in § 2 Absatz 1 genannte
Geldstrafen, bei denen die Ersatzfreiheitsstrafe nicht Grenze nicht übersteigt. Eine höhere Gesamtstrafe
mehr als sechs Monate beträgt, werden erlassen, so- ist bedingt zu erlassen, wenn sie die in § 2 Ab-
weit die Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt oder die satz 2 genannte Grenze nicht übersteigt.
Geldstrafe noch nicht gezahlt worden ist.
(2) Eine Gesamtstrafe, die nach Absatz 1 erlassen
(2) Noch nicht verbüßte Gefängnisstrafen bis zu werden könnte, aber teilweise aus Einzelstrafen für
einem Jahr und daneben ausgesprochene, nicht ge- eine nach dem 14. September 1949 begangene Tat
zahlte Geldstrafen bis zu 5 000 Deutsche Mark, auf gebildet wurde, ist angemessen herabzusetzen. Die
die rechtskräftig erkannt worden ist oder künftig Entscheidung (§ 458 der Strafprozeßordnung) trifft
erkannt wird, werden erlassen unter der Bedingung, das Gericht, das die Gesamtstrafe ausgesprochen
daß der Täter nicht binnen eines Zeitraumes von hat, durch unanfechtbaren Beschluß.
drei Jahren seit dem 15. September 1949 ein Ver-
brechen oder ein vorsätzliches Vergehen verübt. (3) Ist eine Gesamtstrafe, die nach Absatz 1 be-
Dies gilt nicht, wenn der Täter aus Grausamkeit, dingt erlassen werden könnte, teilweise aus Einzel-
aus ehrloser Gesinnung oder aus Gewinnsucht ge- strafen für eine nach dem 14. September 1949
handelt hat. begangene Tat gebildet, dann bestimmt das Gericht,
welcher Teil der Strafe zu vollstrecken ist.
(3) Ist auf Jugendarrest rechtskräftig erkannt wor-
den, so wird der noch nicht verbüßte Arrest erlassen. (4) Absatz 1 gilt sinngemäß für anhängige oder
künftig anhängig werdende Verfahren.
(4) Der Erlaß erstreckt sich nur auf Neben-
strafen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind, auf § 5
gesetzliche Nebenfolgen sowie auf rückständige Bußen,
die in die Staatskasse -fließen, und auf rückständige (1) Das Gericht entscheidet über die Einstellung
Kosten. der bei ihm anhängigen Verfahren außerhalb der
§ 3 Hauptverhandlung durch Beschluß, gegen den so-
fortige Beschwerde stattfindet, sofern nicht die
(1) Verfahren, die bei einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft der Einstellung zustimmt.
Staatsanwaltschaft anhängig sind oder künftig an-
hängig werden, sind dort einzustellen, wenn eine (2) Ist ein Verfahren nach Absatz 1 eingestellt
Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten allein oder in worden, so kann wegen der Tat nur auf Grund
Verbindung mit einer Geldstrafe bis zu 5000 . neuer Tatsachen und Beweismittel, die zur Verur-
Deutsche Mark oder eine Geldstrafe zu erwarten teilung zu einer über der Straffreiheitsgrenze des
ist, bei der die Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr als . § 2 Absatz 1 liegenden Strafe führen können, An-
sechs Monate beträgt. klage erhoben werden.
§ 6
(2) Verfahren, in denen auf Jugendarrest zu er-
kennen wäre, sind einzustellen. ( 1) Zieht das Gericht in der Hauptverhandlung
38 Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1949
die Einstellung des Verfahrens gemäß § 3 in Er- § 10
wägung, so ist dem Angeklagten Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben. Er kann, wenn er seine (1) Für Straftaten die zwi~chen dem 10. Mai 1945
Unschuld behauptet, die Durchführung des Ver.:. und dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zur Ver-
fahrens beantragen. Ebenso kann ein Beschuldigter, schleierung des Personenstandes aus politischen Grün-
wenn das Gericht außerhalb der Hauptverhandlun,g den begangen wurden, wird, auch wenn ·sie nach
das Verfahren eingestellt hat, binnen einer Woche dieser Zeit fortdauern, Straffreiheit ohne Rücksicht
nach Zustellung des Einstellungsbeschlusses die Durch- auf die Höhe der zu erwartenden Strafe gewährt,
führung des Verfahrens beantragen. wenn der Täter bis spätestens 31. März 1950 bei
der Polizeibehörde seines Wohnsitzes oder Aufent-
(2) Wird nach Durchführung des Verfahrens ge- haltsortes freiwillig seine unwahren Angaben wider-
mäß Absatz 1 nicht auf Freispruch, sondern auf ruft und bisher entgegen gesetzlicher Vorschrift
Einstellung des Verfahrens nach § 3 erkannt, so hat unterlassene Angaben nachholt.
der Angeklagte die Kosten des Verfahrens und die (2) Dies gilt nicht für Straftaten nach den §§ 211
notwendigen Auslagen der Beteiligten wie ein Ver- bis 213 StGB. und nicht für Verbrechen, die aus
urteilter zu tragen. Grausamkeit, aus ehrloser Gesinnung oder aus Ge-
winnsucht verübt worden sind~
§ 7
§ 11
(1) ,War das Verfahren auf Privatklage eingeleitet,
so werden die Kosten des Verfahrens niederge- (1) Rechtskräftig verhängte Ordnungsstrafen und
geschlagen. Privatkläger und Beschuldigter tragen Bußgelder bis 10 000 Deutsche Mark werden er-
ihre eigenen Kosten. lassen.
(2) Anhängige Verfahren sind einzustellen, wenn
(2) Entsprechendes gilt im Falle der Nebenklage. eine Ordnungsstrafe oder ein Bußgeld bis zu 10 000
Deutsche Mark zu erw;:i.rten ist. § 3 Absatz 3 Satz 1
§ 8 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Ist ein Verfahren wegen übler Nachrede, Ver- (3) Die Zuständigkeit für die nach Absatz 1, 2
leumdung oder falscher Anschuldigung nach diesem zu treffenden Feststellungen und Entscheidungen
Gesetz eingestellt, so kann die Staatsanwaltschaft und ihre Anfechtbarkeit bestimmt sich nach den für
oder der Privatkläger in einem besonderen Verfahren die Verhängung der Ordnungsstrafe oder des Buß-
die Wahrheit, die Unwahrheit oder die Nichter- geldes geltenden Vorschriften.
weisbarkeit der behaupteten ehrenrührigen Tatsache
feststellen lassen.
§ 12
Straffreiheit wird nicht gewährt für Steuerver-
(2) Die§§ 430 bis 432 der Strafprozeßordnung sind gehen einschließlich · der Vergehen nach Artikel IX
entsprechend anzuwenden. Der Beschuldigte steht des Anhangs zum Gesetz Nr. 64 der Militärregie-
den im § 431 Absatz 2 der Strafprozeßordnung rungen; die Gewährung von Straffreiheit für diese
genannten Personen gleich. Straftaten nach anderen gesetzlichen Vorschriften
(3) Die Entscheidung über die Kosten des Ver- bleibt unberührt.
fahrens bemißt sich nach den §§ 464 bis 47 4 der § 13
Strafprozeßordnung; dabei steht die Feststellung Gesetze der Lände,r, die eine weitergehende Straf-
der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsache dem Frei- freiheit gewährt haben, bleiben unberührt.
spruch, die Feststellung ihrer Unwahrheit oder Nicht-
erweisbarkeitder Verurteilung des Beschuldigten gleich. § 14
Dieses Gesetz tritt am Tage semer Verkündung
§ 9 in Kraft.
(1) Ohne Rücksicht auf die Art und Höhe der
Strafe werden ferner erlassen Strafen für Hand- Das vorstehende Gesetz wird, nachdem der Bun-
lungen auf politischer Grundlage, die nach dem desrat von seinem Einspruchsrecht keinen Gebrauch
8. Mai 1945 begangen und auf die besonderen politi- gemacht ·hat, hiermit verkündet.
schen Verhältnisse der letzten Jahre zurückzuführen
sind. Bonn, den 31. Dezember 1949.
(2) In demselben Umfange werden anhängige
und künftig anhängig werdende Strafverfahren ein- Der Bundespräsident
gestellt. Theodor Heuss
(3) Dies gilt nicht für Straftaten nach den§§ 168, Der Bundeskanzler
211 bis 213, 234, 249 bis 252, 306, 307 StGB.,
für Verbrechen nach dem Sprengstoffgesetz vom Adenauer
9. Juni 1884 und für Verbrechen, die aus Grau-
samkeit, aus ehrloser Gesinnung oder aus Gewinn- Der Bundesminister der Justiz
sucht verübt worden sind. Dehler
Das Bundesgesetzblatt erscheint nadi Bedarf. laufender Bezug nur durdi die Post Bezugspreis vierteljährlidi DM 2.- zuzügli.:h Zustellgebühr. Einzelstücke
zum Preise von DM 0,;10 je Stück beim Verlag des "Bundesanzeiger" in Bonn oder· in Frankfurt. Zusendung einzelner Stücke per Streifband gegen Vorein-
sendung des erforderlidien Betrages auf Postsdieckkto. "Bundf:sanzeiger" Frankfurt/Main 3709.
Druck: Bonner Universitäts-Budidruckerei Gehr. Scheur G. m. b. H., Bonn